INNOVATIONSPREIS
Matthias Seyfert
Susanne Seyfert
Florian Dessl
Lavinia Wagner
Romina Priesner
seit 09|2016
Wäre es nicht möglich für die Hauptstraße eine bessere Lösung zu finden als die jetzige? Ist die in vielen Städten – von München bis Wien – sichtbare Umwandlung intensiv befahrener Straßen in fußgängerfreundlichere Zonen auch eine Lösung für die Hauptstraße? Lässt die intensive Nutzung der Straße durch Straßenbahn, Bus, Auto, Fahrrad und Fußgänger eine Veränderung zu?
Der Vorschlag versucht diesen Fragen nachzugehen, ohne endgültige Antworten zu suchen oder alle Probleme sofort und mit einem Schlag lösen zu wollen. Eine Zwischenlösung, ein gutes Provisorium, ein Kompromiss sind auch gut, wenn sie Probleme lindern. Der Vorschlag nimmt Ideen und Entwicklungen auf, stellt diese dar und will Bilder liefern, die Mut machen, Veränderung zu versuchen. Kern des Entwurfes ist die gelbe Markierung der gesamten Hauptstraße inkl. Fahrbahn und Gehsteig vom Hinsenkampplatz bis zur Schmiedegasse. So nimmt man die Straße neu wahr, die Veränderung wird offensiv sichtbar, es wird darüber geredet, der Startschuss ist gefallen.
In der Mitte wird eine 4,5m breite Spur mit Längsstreifen besonders markiert. Auf dieser können sich Busse (leicht ausweichend) begegnen, Radfahrer in beide Richtungen fahren und die Anlieferung von Nord nach Süd erfolgen. Auf dieser Spur queren Fußgänger von der linken auf die rechte Seite – aber: Der rollende Verkehr hat hier rücksichtnehmend Vorrang.
Die spärlich vorhandenen Bänke und Bäume werden durch eine zurückhaltende Stadtmöblierung – vorgeschlagen wird eine Pflanz- Sitz-Kombination – ergänzt. Die Straße wurde bisher als reiner Durchgangsweg genutzt, sie bekommt nun Aufenthaltsqualität zum Sitzen, Flanieren, miteinander Sprechen, Schauen und Einkaufen.
Querender Autoverkehr ist von West nach Ost über die Kaarstraße/ Reindlstraße möglich bzw. in der Gegenrichtung über die Blütenstraße. Damit wird die Situation für den derzeit besonders starken Durchzugsverkehr in West-Ostrichtung entschärft. In der Gegenrichtung ist dieser weniger stark und wird auf die größeren Straßen verlagert. Der Quartiersverkehr wird zwar verändert, aber diese Änderungen dürften nach etwas Eingewöhnung bald selbstverständlich sein.
Die entfallenden Parkplätze (42 Stück) könnten neu in der sehr breiten Freistädter Straße und Reindlstraße geschaffen werden. Bahn und Bus bleiben unverändert. Durch den Entfall des Staus, besonders in den intensiv genutzten Zeiten, wird eine Reduzierung der Fahrtzeit möglich.
Mehr Platz für Fußgänger bringt mehr Fußgänger, was gut für die anliegenden Geschäfte und Restaurants ist. Weniger Autos im Stau bringt weniger Smoke und weniger Lärm, was gut für die Bewohner ist. Ob man es Fußgängerzone, Begegnungszone oder Verkehrsberuhigung nennt, bleibt offen und steht am Ende des Prozesses. Die Autos sollen nicht ausgesperrt, sondern gezielt gesteuert werden. Der Durchgangsverkehr soll draußen bleiben, der Zielverkehr möglichst nah parken dürfen.
Die finanziellen Aufwendungen für die farbige Markierung der Straße und die punktuellen Eingriffe sind gering. Hinzu kommt eine Beschilderung und organisatorischer Aufwand, um die neue Situation einzuführen. Gleichzeitig sollte das Projekt begleitet werden - Feststellung der Bestandssituation, Fahrgastzahlen, Autoverkehr, ... und Feststellung der Veränderung – um nach einer Testphase von z.B. einem Jahr zu entscheiden, wie es weitergeht.
Fast vergessen: Was passiert denn mit dem gelben Straßenquerschnitt, der frei wird? Das liegt an Ihnen, das liegt an uns. Diesen Freiraum zu nutzen und zu gestalten soll nicht fix geplant werden. Vor Geschäften kann ein größerer Bereich für Auslagen entstehen, Cafés und Restaurants werden diesen für Schanigärten nutzen, unter Bäumen trifft man sich um Neuigkeiten auszutauschen. Der vorliegende Entwurf macht hier und da Vorschläge, aber nur um die Kreativität zu fördern und nicht um starre Lösungen zu liefern. Die Hauptstraße gestalten: JETZT!
Das Projekt hat im Oktober 2016 einen Innovationspreis der Linzer Neos Gemeinderatsfraktion bekommen. Es wird durch den zuständigen Stadtrat Markus Hein unterstützt. Am 13.12.2016 wurde es in einer gemeinsamen Pressekonferenz vorgestellt.
Der Bürgerbeteiligungsprozess »Lebensraum-Hauptstraße« startete Mitte Juni 2017 mit einem Bürgerinformationsabend als »Kickoff« (Altes Rathaus, 120 Besucher). An diesem Abend hatten Wirtschaftstreibende und Bewohner die Gelegenheit, sich freiwillig zu melden, um an der Gestaltung der Urfahraner Hauptstraße mitzuwirken. Im Anschluss fanden vier extern moderierte Workshops statt, in denen die gemeinsamen und widersprüchlichen Bedürfnisse der Anrainer (in je einer Bewohner- und Unternehmergruppe) ausgearbeitet wurden.
Die Ergebnisse beider Gruppen waren die wertvolle Grundlage, um unterschiedliche Problemstellungen und Bedürfnisse der Bewohner und Unternehmer in Folge besser planerisch berücksichtigen zu können. Sie ergaben eine überschaubare Schnittmenge an Vorschlägen, die sich teilweise sogar in wesentlichen Punkten widersprachen (z. B. mehr Bäume, aber nicht weniger Parkplätze; kein Durchzugsverkehr, aber keine Verlagerung des Verkehrs in andere Straßen). Die vier Varianten und das geplante weitere Prozedere wurden Anfang April in einer öffentlichen Bürgerinformationsveranstaltung allen Interessierten vorgestellt und dienten dazu, den Anrainern und Unternehmern eine klare Wahl zu ermöglichen sowie Stoßrichtungen möglicher Entwicklungen zu stellen.
Die Ergebnisse des Bürgerbeteiligungsverfahren wurden in Form eines »Kartenspieles« in vier Versionen aufbereitet. Diese vier Versionen sind A) Status quo B) Verkehr light C) Begegnungszone D) Fußgängerzone und zeigen die möglichen Entwicklungen der Hauptstraße auf. Dieser spielerische Zugang sollte engagierten Bürgern (neben Experten) in die weitere Entwicklung ihres Quartiers einbinden.
Das Spiel mit 32 Karten ergibt sich aus den vier Varianten und den acht Straßenabschnitten 1. Sternplatz, 2. Haltestellen Knabenseminarstraße, 3. Bereich Lentia, 4. Blütenstraße/Jägerstraße, 5. Bushaltestellen, 6. Biegung, 7. Straßenbahnen und 8. Hinsenkamp. Auf der Vorderseite jeder Karte ist der jeweilige Abschnitt am Plan mit Fakten dargestellt. Auf der Rückseite findet sich eine textliche Erklärung, ein Verkehrspiktogramm und ein Foto. Das Format erlaubt Spaziergänge vor Ort auf der Straße mit dem Kartenspiel in der Hand.
SPIELREGELN | SO FUNKTIONIERT‘S
Legen Sie sich die Version »Status Quo« (A) von 1-8 auf und spazieren auf dem Plan vom Norden in Richtung Donau. Vergleichen Sie die Fakten jedes Abschnittes, lesen Sie die Erklärungen auf der Rückseite. Nehmen Sie Ihre Karten und spazieren vor Ort auf und ab und machen sie sich dabei Notizen. Als nächstes nehmen Sie sich Version »Verkehr light« (B) und wiederholen das Spiel. Legen Sie das Augenmerk auf die Veränderungen zum Bestand. Nun sind Version »Begegnungszone« (C) und »Fußgängerzone« (D) an der Reihe. Spaziergänge mit den Karten sind zu empfehlen.
Als Nächstes sortieren Sie sich die Karten der jeweiligen Straßenabschnitte als Quartett – Karten A1, B1, C1 und D1 – Karten A2, B2, C2 und D2 und so weiter. Nun vergleichen Sie die vier Karten eines jeden Quartettes miteinander und analysieren die Unterschiede. Auch dabei sind Spaziergänge vor Ort zu empfehlen. Wiederholen Sie die beschriebenen Schritte in beliebiger Reihenfolge bis Sie wissen, welche Version Ihr Favorit ist: A- B -C oder D, also »Status Quo«, »Verkehr light«, »Begegnungszone« oder »Fußgängerzone«.
ENDERGEBNIS | VERÄNDERUNG IST ERWÜNSCHT!
»Die Bürgerbeteiligung 'Lebensraum Hauptstraße' war und ist das gemeinsame Nachdenken über die Zukunft der Straße. Darüber gab es sehr unterschiedliche Meinungen, weshalb wir das Kartenspiel erfunden haben. Es deckt die Spanne der Vorschläge ab und liefert Fakten als Entscheidungsgrundlage. Dieses Wahlrecht haben Anwohner und Gewerbetreibenden intensiv genutzt, es gab eine hohe Beteiligung. Nun gibt die abgeschlossene Bürgerbefragung die Richtung vor. Veränderung wurde gewählt, Fußgängerzone und Begegnungszone liegen vorn. Das war auch mein Gefühl in den vielen Gesprächen vor Ort.«